Es gab mehrere Brüche bzw. Wendungen in meinem Leben. Aber ich vermute, dass der tatsächliche "point of no return" 1967 im Frühjahr überschritten wurde.
Ich hatte trotz meines jugendlichen Alters (noch nicht 18) erfolgreich die türkische Grenze vor Ipsala passiert. Auf der Brücke über den Meric wechselten griechische Soldaten die Sprengladungen aus, und die türkischen Grenzer empfingen mich mit dem Gewehr auf den Knien. Eine absurde Scenerie. Aber ich wurde durchgelassen und war auf dem Weg nach Istanbul. Mein erstes Ziel dieser ersten grossen Reise in die Welt. Die Strasse nach Ipsala führte nach den Grenzbaracken damals auf einem Damm Richtung Ipsala.
Ich habe mir das Gefühl dieses Moments bis zum heutigen Tag bewahrt. Es war, wie wenn ich ein Tor durchschreiten würde und dahinter ins helle Weite gehen würde. Ich wurde leicht, und ich tat etwas das mich plötzlich überkam: ich tanzte in kleinen Kringeln den Strassenrand entlang und sang dabei laut den mir bekannten Teil des Songs "Gloria" von Van Morrison. Zum Glück störte in der damaligen Zeit kein Autoverkehr die Ekstase.
Und für einen noch-17jährigen war ich für die damalige Zeit bereits weit gekommen. Im Jahr davor (Aug. bis Okt. 1966) war ich im Sommer und Herbst nach Chamonix, der Costa Brava und Rom, als Tramper gekommen. Zu einem Zeitpunkt an dem Italienreisende noch beneidet wurden, hatte ich das westliche Mittelmeer und Teile der Alpen bereist bereist und hatte eine Idee davon wie "Reisen" sein konnte. Nach damaligem Verständniss war ich ein "Ausreisser". Und tatsächlich bin ich auch ohne meine Eltern zu informieren an einem schönen Samstag losgetrampt. Ich hatte das Gefühl, dass es der richtige Samstag war und zog los. Natürlich gabs in Stuttgart den damals üblichen Zinnober: Polizei, Jugendamt usw. Aber mir konnte das 1000km weiter im Süden egal sein. Und nach meinem Verständniss war ich nicht ausgerissen, sondern nur einem Weg gefolgt der verheissungsvoll vor mir lag. Diese erste vorbereitende Tour schaffte mir die Gewissheit: Es geht doch!
Also zeigte ich nach meiner Rückkehr meinen Eltern ein klares Bild dessen was ich wollte - und was ich tun würde, wenn sie es verhindern sollten. Kurz: sie unterschrieben den Passantrag. Natürlich wars nicht ganz so einfach wies hier steht, aber letzlich zählte nur der Pass.
Das Ziel war klar: ORIENT!
Und nun war ich hier und hatte Europa hinter mir und den gesamten Orient vor mir. Zwar keine Mark mehr auf der Naht, aber einiges im Rucksack das zum Verkauf bestimmt war. z.B. Taschenrechner.
Es war eine harte Tour bis zu diesem Ort. In Jugoslawien wegen Spionage verhaftet, weil ich oberhalb einer Traktorfabrik auf einer Wiese gepennt hatte. Bei Skopje von Zigeunern verprügelt, weil ich es gewagt hatte ihre Frauen anzusprechen. Hinter Saloniki 2 Tage bei Schneeregen und knapp über 0° gelaufen, weil keiner anhielt.
In Stuttgart trieb sich einer rum, der sich Joschka nannte, und die Tour bis Syrien getrampt war. Von ihm hatte ich den Tip für meine erste Anlaufstation in Istanbul erhalten: Gülhane-Oteli. Was für eine Fixer-Absteige!
Mein ohnehin zwiespältiges Verhältniss zu Drogen näherte sich hier seiner Klärung. Bis dahin hatte ich etwas Erfahrung mit Shit, Preludin/Captagon und einem Trip. Empfand das ganz Zeug jedoch eher beunruhigend denn aufregend. Hier im Gülhane sah ich dann Endsationen von Drogenkonsumenten. Leider auch einen Toten. Und dann traf ich einen Bekannten aus Stuttgart. Der Spross einer schwäbischen Adelsfamilie hatte in Stgt. die freie Marktwirtschaft auf seine Art und Weise interpretiert und etwas Haschisch auf den Markt gebracht. Ich traf ihn in vor dem "Yener", einem Lokal der internationalen Hippiescene. Er hatte einen "Shake", stand vor der Tür und war unfähig die Klinke zu drücken. Noch einer, dem die Nadel das Leben versaute (Gerüchten nach endete er in der Landespsychiatrie in Zwiefalten). Zumindest dieses Thema war für mich schnell und lebenslang geklärt.
Da ich völlig blank war, verdiente ich mir wenig Geld als Schlepper im Grand Basar und etwas mehr dafür, dass ich ein Auto in meinen Pass eintragen lies. Diese fuhr ich führerscheinlos nach Norden und führte es per U-Turn an der bulgarischen Grenze wieder ein.
Mit tatsächlich sehr sehr wenig türk. Lira im Beutel trampte ich mit einem Inder, der in England lebte, dann Richtung Damaskus. In Istanbul hatte ich mich gegen Gelbfieber und Cholera impfen lassen. Und das rumorte...und in Damaskus hatte mein Trampkumpel die Nase -im Wortsinn- voll von meinen Durchfallattacken. Er trampte alleine nach Jordanien weiter.
Nachdem ich mich erholt hatte, trieb es mich nach Beirut. Dort -so die Gerüchte der Strasse- lies es sich hervorragend betteln. Tatsächlich aber spendete ich Blut um über die Runden zu kommen. MIt der Meute des Hippiejetsets hauste ich in den Höhlen am Südrand von Beirut. Das Problem: dieses Abhängen ging mir auf den Sack - und denen ging mein (Kletter-)Aktionismus auf den Sack. Nachdem mir dann auch noch meine Bergstiefel geklaut wurden, zog ich wieder Richtung Osten. An der Grenze gabs dann noch Theater weil mein Visum schon deutlich abgelaufen war. Die Vernunft der Grenzer (als Häftling hätten sie mich ernähren müssen) siegt über ihre schlechte Laune.
In Damaskus lernte ich dann das erste Mal die Hürden der Passformalitäten kennen. Ich benötigte eine (wars ne Woche?) gefühlte Ewigkeit bis ich den Stempel hatte. Und ab ging die Luzie: mit einer Karte, die den Namen nicht verdiente, schlug ich mich bis Abu Shamat durch. Dort war damals die syrische Grenzstation zum Irak - und gleich danach das Ende der Teerstrasse. Stempelrituale erledigen und gegen jede Warnung zu Fuss weiter. Am Ende des Teers wurde ich mit einem Wirrwarr an Pistenspuren konfrontiert. Da ging eine nach halblinks los und nach kurzem Fussmarsch kreuzte sie eine die vorher nach halbrechts ging. Zum Glück war dieses Choas gleich am Anfang der Piste Richtung Rutba und Ramadi. Ohne einen Wasserrest (es war bereits Mai) gings wieder zurück zur Grenzstation. Man empfing mich breit grinsend und empfahl mich am nächsten Tag einem Lkw-Fahrer der die Post nach Bagdad fuhr.
Es wurde ein grosses Abenteuer. Die 2 Tage durch die syrisch-irakische Wüste hätten gerne 2 Wochen sein dürfen. Ich war im Bagdader Nationalmusseum und sah die ersten Gesetzestafeln im Original und erfuhr vom Gilgamesch-Epos. Ich trampte am Shat-el-Arab, nach Basra und wanderte durch die angrenzenden Sümpfe. Über Mossul gings dann wieder Richtung Syrien. Dort folgte eine sehr hungrige Etappe Richtung Aleppo. Ich hatte Magenkrämpfe vor Hunger, gab aber nicht auf. Ich durchwanderte die nordsyrische Hochebene Richtung Türkei. Eine grandiose Karstlandschaft. Nach einem belanglosen Istanbul-Aufenthalt landete ich trampend wieder in Deutschland.
Diese zweite Rückkehr nach einer langen Reise war schwieriger denn die erste. Ich konnte mich nur schwer an den Rythmus und die Zwänge dieses Lebens integrieren. Mir ging quasi die Sozialisation ab. Folgerichtig reiste ich wenige Monate später Ende Januar 1968 wieder in den Orient. Gezwungener Massen - aber dazu mehr in einem späteren Kapitel.