Wer viel versucht, hat viele Fehlversuche. Zwei Fehlversuche endeten bei mir allerdings in schlimmen Sackgassen.

Warnung:Dieses Kapitel wird keine Bilder enthalten, und eher etwas ausufernd sein.

Einen Hinweis eines Lesers (danke dafür) aufnehmend, schreib ich nun nachträglich folgenden erklärenden Texteinschub:

Nach meinem Verständniss der Zeit um 1968 befand sich die westdeutsche Gesellschaft in einem Spannungsverhältniss, das sich in der Studentenrevolte entlud. Zum einen waren die Eliten nach wie vor meist auch Funktionsträger bei den Nazis. So war z.b. der Ministerpräsident Filbinger aus Ba-Wü im 3.Reich Militärrichter, und ordnete wenige Tage (Tage!) vor Kriegsende den Vollzug von Todesurteilen gegen fahnenflüchtige Soldaten an. Dieser nichtaufgearbeitete "Nachlass" des 3. Reiches klebte wie halbgetrockneter Leim über dem Land und prägte es. - Dem stand gegenüber, dass der beginnende Wohlstand es zu lies, dass sich Individualität entwickelte, dass Lebenskonzepte abweichen konnten. Und natürlich kollidierten diese unterschiedlichen Strömungen in der Gesellschaft miteinander. Den 68ern gingen die Schwabinger Studentenunruhen voraus. Diesen komplexen Schwabinger Vorgang möchte ich verkürzt darstellen: Den durch die Nazis geprägten staatstragenden Kräften, war der Gitarre klimpernde "Tagedieb" auf dem Brunnenrand, natürlich ein Dorn im Auge. Das waren junge Menschen die Gitarre spielten - mehr nicht. Von Hippies keine Spur in dieser Zeit. Aber: Westlicher Verfall soweit das reaktionäre Auge reichte *g*! Also hat man da mal reingehauen. Das Problem war nur: diesmal hauten die zurück! Wie überhaupt einige spätere Exzesse der Demonstranten nur so zu erklären war: man wollte nicht jedesmal Opfer sein.

Eigentlich verstehe ich mich nicht als Chronist dieser Zeit. Vielmehr will ich hier für mich  versuchen, die vielen Wendungen meines Lebens zusammenzufassen. Deswegen diese sehr verkürzte Darstellung einer komplexen gesellschaftlichen Situation. Aber ein Fazit kann ich mir nicht verkneiffen: Der Kniefall von Willy Brandt vor dem polnischen Opferdenkmal war nur möglich, weil "wir" die Gesellschaft dafür bereit machten!

 

Seit ca. 1964 war ich bemüht einen Weg zu finden, und ihn auch zu gehen. Und ab 1966 war  klar, dass dies nur eine vagabundierende Existenz in einem Bereich sein konnte, den man heute als Outdoor bezeichnet. Tatsächlich war dieser noch nicht ausformulierten Idee vom Leben zunächst auch alles untergeordnet. Egal ob es Job oder politische Orientierung war - das waren die Nebengeräusche.

1968 kam ich von meiner zweiten Orienttour zurück nach Stuttgart. Es war eine desaströse Ankunft. Ausser dem was ich am Leib trug, besass ich nichts. Eine Invasion sehr kleiner Besucher hatte mich ab der Türkei gezwungen, alle meine Kleidungsstücke nach und nach wegzuwerfen. Das Geld war alle, und dazu traf ich auf ein Vakuum. Die alte Clique der "Unabhängigen sozialistischen Schülergemeinschaft", einer Gruppierung die sich als Schülerorganisation des "SDS" verstand, war völlig verschwunden. Klar, im Frühjahr war damals das Schuljahr zuende, und die Jungs und Mädels waren in anderen Städten auf einer Uni. Die Möglichkeit eines Unterschlupfes war nahe Null. Insbesondere Edeltraud und Joschka, bei denen ich vor der Abreise öfters übernachtete, fehlten mir sehr.

Also nahm ich mit dem Sofa im Wohnzimmer meiner Eltern vorlieb, und verdiente mir etwas Geld als Lagerist beim Reclam-Verlag. Die Situation war für niemand komfortabel. Bald fand ich aber heraus dass Ede und Joschka nun in Frankfurt/M. wohnten. Blitzschnell war gekündigt und mit einem nun wieder gefüllten Rucksack trampte ich nach Ffm. Ausgemacht war als Treffpunkt das Kolbheim am Beethovenplatz. Dieses sollte in meiner Frankfurter Zeit öfter mal eine Rolle spielen. Jedenfalls: ich war da - die beiden nicht! Dafür kam ich aber in den Genuss, an einem "Kapitalarbeitskreis" teilzunehmen, welcher im grossen Saal statt fand.

Was für ein Kulturschock! Wie mir später klar wurde, waren an diesem Tag die Alphatiere der Scene anwesend. Antonia Grunenberg erklärte in wischenden Handbewegungen die Welt und Maitre Krahl zerpflückte das wieder mit prägnanter Stimme. Ich war erst beindruckt, und dann kippte es für mich. Ich kam mir zunehmend kleiner vor. Mir wurde klar, was ich für ein Landei war, und dass ich noch nicht einmal in der Lage gewesen wäre, eine Frage zu formulieren - und seis nur die nach der Toilette.

Mein Date mit der Spätzleconnection fand dann doch noch statt. Und so landete ich im ersten besetzten Haus der BRD in der Feldbergstrasse. Schlafsack auf den Boden, kurz gelüftet - mein Einzug in die WG war bewerkstelligt.

Der Stachel vom Kolbheim sass tief. Jeden Morgen zog ich mich aufs Klo zurück und begann, den Leitartikel der Frankfurter Rundschau laut und hochdeutsch vorzulesen. Bei einem Versprecher fing ich wieder von vorne an. Aus meinem eher bäuerlichen schwäbisch wurde eine Art Schleiflackschwäbisch. Und ich begann wild zu lesen. Unsystematisch, oft ohne Textverständniss und immer mit dem Duden neben mir. Und natürlich lies ich keine Aktion aus, die die damalige studentische Politscene bot. Bald war ich in der Lage den grössten Teil der gehörten Fremdwörter zuzuordnen. Und eigentlich war diese Welt ja auch vordergründig ganz einfach: Reaktionäre, Revisionisten und Revolutionäre - und schon war alles hübsch sortiert.

Sehr bald ging das Geld aus. Ein namentlich ungenannt bleibender Mitbewohner der WG zeigte mir eine Möglichkeit auf: Bücherklauen. Also klaute ich Bücher. Nicht Wahllos, aber oft eher ins Ungewisse hinein. Denn nicht alles fand einen Abnehmer. Manches wurde aber auch auf Bestellung geklaut. Ich glaube es war der gesammelte Kant aus dem Meiner-Verlag, welchen die Wg arbeitsteilig "organisierte". Irgendwann schien es so, dass wir das Eldorado entdeckt hatten. Wir fanden einen Weg, in den Keller der EVA zu gelangen. Am hellichten Tag, im toten Winkel vorbei an der Empfangsdame in den Keller. Autoren an die sich heute kein Mensch mehr erinnert lagen da. Was aber viel schlimmer war: Es interessierten sich auch damals nicht soviel für z.b. Herrn Landauer. Und auch die Buchläden waren für uns durchgekaut: Patterns von Parsons halfen uns Handlungspraktisch nicht beim Kochen mit leeren Töpfen. Ich zog mit meiner gefüllten Büchertasche durch die Studiheime, aber der Markt war gesättigt. Ich reagierte richtig, und ergatterte einen Job bei Coca-Cola: Nachts mit einem Putzgerät den verklebten Boden vom Zucker befreien.

Und an diesem Punkt begann der Weg in die Sackgasse. Ich lies es zu, dass mir einer der Mitbewohner der WG solange mit wirrem Revoluzzergebräu den Kopf einnebelte, bis ich ihm rechtgab: Ja, Lohnarbeit ist entfremdete Arbeit, bei der man sich zu einem schlimmen Menschen entwickelt. Ja, man muss die Klarheit in der revolutionären Theorie mit existenzieller Konsequenz verbinden.

blabla...

Um das klarzustellen: Ich war es, der sich auf das nun Folgende einliess. Ich hätte auch nein sagen können zu diesem geistigen Dünnschiss. Den dazu noch jemand von sich gab, der davon profitierte, das ich gelegentlich doch ein Buch verkaufen konnte.

Die Zeit in der Feldbergstrasse neigte sich ihrem Ende entgegen. Die ersten Stockwerke wurden bereits von Handwerkern entkernt. Wir arbeiteten einen Tag wie die Berserker und schafften alle noch im Haus verbliebenen Gussbadewannen auf unseren Balkon, stellten sie ineinander, und hebelten sie dann mit erheblichem Aufwand aus dem 4. Stock über die Kante. Es war ein Knall wie bei einer Bombe. Wir hatten die Aufmerksamkeit der kompletten Nachbarschaft ganz für uns.

Diesem letzten Knaller unserer WG folgte die Stille und die Wortlosigkeit. Bevor ich erkannte was vorging, waren alle ausgezogen. Meine Spätzleconnection residierte im Westend in einer WG. Der Mietvertragsinhaber schrieb Texte für den Hessischen Rundfunk mit Tips für eine Hausfrauensendung. Gelegentlich hatte er auch mal einen Fasan auf dem Balkon zum abhängen.

Nein, dort war ich nicht willkommen. Ein paar mal schlief ich dort im Flur auf dem Boden, einmal sogar für einige Wochen. Aber immer als Fremdkörper. Allerdings kam ich in den Genuss, am Tisch zu sitzen und zu beobachten wie eine wütende Frau einem maulenden Ehemann das Sieb mit lauwarmen Spaghetti über den Kopf stülpte und sagte: dann koch doch selber. Der Herr leidet heute seit längerem an einem Virus: Madam Albright hatte ihn geküsst.

In diesen ganzen Wirren hatte ich die Orientierung völlig verloren. Einmal trampte ich auf die Schwäbische Alb, und wusste dann nicht mehr, was ich dort sollte. Ein zutiefst verstörrendes Erlebniss.

Oft musste ich mich nachts ins Kolbheim schleichen, und übernachtete dann auf den Stühlen der Etagengemeinschaftsküchen. Es entwickelte sich ein zielloses, chaotisches und letzlich gefährliches Dasein in einer Zwischenwelt. Während einer der samstäglichen Feten im Kolbkeller war ich scharf auf eine Frau, die wiederum war scharf auf einen der Heroen des politischen Parketts, welcher wiederum nichts gegen eine schnelle Nummer mit mir einzuwenden hatte. Wir landeten zu dritt in einem der Zimmer im Kolbheim. Das ganze war natürlich das zu erwartende Desaster. Ich hatte mein Verhältniss zum Thema Homosexualität bereits währen meiner frühen Trampzeit lebenslang geklärt. Der Unerreichbare wiederum fühlte sich von der jungen Frau belästigt. Genervt liessen wir das ganze dann ergebnisslos hinter uns, und redeten danach nie wieder darüber.

Ich erwähne diesen Vorfall deswegen, weil er beispielhaft war für meine Situation.

Aber über dem Ganzen stand natürlich der grosse Plan der Weltrevolution. Wenn es mir gelang einen Job an Land zu ziehen, dann ging ich mit dem Geld in die einschlägigen Kneipen. Beim Skat wurde dann die Welt erklärt, gerettet - und gleich danach wieder alles verworfen. Man sollte es nicht glauben, aber aus diesem Gelabber entwickelte sich das was später als "Terrorismus" die BRD in Atem hielt. - Eine sehr militante, gefährliche und letzlich dumme Aktion, hatte ihren Ursprung im Fernsehraum des Kolbheimes. Innerhalb von Minuten steigerte sich eine Debatte um ein Gerichtsurteil ins paranoische. Konsequenz war oben angedeutete "Aktion". Zufallsbekanntschaften(!) fuhren mit 2 Autos los und riskierten Kopf und Kragen von sich und bei Lichte betrachtet auch von anderen. Zum Glück kam niemand zu Schaden!

Es ist aus heutiger Sicht schlicht gar nicht nachvollziehbar, was damals in Frankfurt möglich war: Ein Andreas Baader rannte durch Frankfurt und erklärte, dass die "Befreiung" von Jugendlichen aus ihren Erziehungsheimen nur Teil eines gross angelegten Ganzen wäre. Denn man müsse auch die Unterwelt mobilisieren, weil die Organisierung der Kriminalität politisch wäre. Heute unverständlich, dass ihm keiner aufs Maul gehauen hat.

Mir war der Kerl auf eine unangenehme Weise zu abgefahren. Und hier habe ich eine Grenze erkannt, die ich nicht überschreiten wollte. Dennoch war ich immer noch ein getriebener Orientierungsloser. Bei meinen Versuchen wieder Boden unter die Füsse zu bekommen, griff ich nach jedem Strohhalm. Die Einberufung zur Bundeswehr im Herbst 1969 war ein solcher - meinte ich. Ich spekulierte auf eine Laufbahn beim Hochzug der Gebirgsjäger und verpflichtete mich freiwillig. Wundert es jemand, dass dies schief ging? Zu meiner Ehrenrettung muss ich dazusagen, dass die Bundeswehr alles dazu getan hat, dass es schief gehen musste. In meinem ganzen späteren Berufsleben ist mir keine grössere Ansammlung von Inkompetenz begegnet, wie bei diesem Sauhaufen. Da ich nicht für 4 Jahre als "Schütze Arsch" enden wollte, sah ich damals nur die Alternative Fahnenflucht. Die Fahnenflucht und die sich dabei ergebenden Ereignisse während der allierten Truppenparade in Berlin, brachten mir dann 1 Jahr Knast ein. Aber - ich sah wieder Land. Schon die beiden bescheuerten Entschlüsse der Verpflichtung und der anschliessenden Fahnenflucht, waren der Versuch, dem ganzen wieder eine Richtung zu geben.

Beim ersten Prozess in Berlin trug ich ein "politisches" Schlusswort vor, in welchem ich mich sehr kritisch über "Stadtguerillia" und anderes äusserte. Dieses wurde auch in der "883" abgedruckt, was wiederum dafür sorgte, dass der Text bekannt wurde. Die  damals auch in Moabit einsitzenden Georg von Rauch und Dieter Kunzelmann beschimpften mich über die Knastkanäle als "Bleistift". Ich fühlte mich geehrt und wusste, dass ich nun richtig lag.

4 Wochen nach meiner Knastentlassung hatte ich einen Job bei der "Osram". Es ging wieder bergauf! Es dauerte noch etwas. Aber schlingernd näherte ich mich wieder den Bergen. Einmal über 3000m und der Weg in die Sackgasse hinein, und wieder zurück, war beendet.

Die Welt politisch zu sehen, habe ich nicht aufgegeben. Aber welchen Schwachsinn ich hinter mir gelassen hatte, wurde mir immer wieder bestätigt. So z.B. als ich auf der Gründungsversammlung der Nürnberger Initiative gegen Atomkraft in einem kurzen Beitrag ansprach, dass es keine sozialistische - also "gute"- Strahlung gäbe; sondern nur Strahlung. Nach der Veranstaltung sprach mich einer an, den ich aus Berlin kannte. Ehemaliges leitendes Mitglied der PLP (Proletarische Linke/Parteiinitiative). Er nannte mich ob meines Redebeitrages einen "Verräter". Ich war nicht einmal beleidigt, sondern nur verblüfft. Meine Irrwege waren ja auch die Irrwege der studentischen Revolte (denn so "proletarisch" war die PLP nun auch wieder nicht). Das verblüffende für mich war, dass es anscheinend doch möglich war, nach dem Ende der Studentenrevolte einfach weiter zu machen, als ob nichts daraus zu lernen gewesen wäre. Mein Vorteil gegenüber ihm war allerdings ein erheblicher: Die existenziellen Konsequenzen wirrer Theorien hatte ich am eigenen Leib erfahren.

 

Jahrgang 1949

-Klettern by all means seit 1964

-1 Jahr Knast wegen erwiesenem Schwachsinn.

-Berufungen u.a. als Gärtner, Aushilfskoch, Coach und Monteur.

-Einen sehr gelungenen Sohn.

-Mit einer Frau verbandelt, die auf allen Gebieten mindestens 1 Kunststück kann.

-Die letzen Jahre mehr auf dem mtb denn am Fels-

und die Wüsten als neue Spielwiese entdeckt.

-Fazit: das was wichtig ist, ist letzlich gut geworden. die Jahre in denen es nicht so gut lief, sind nur der Preis, der dafür nötig war.